Das Widerspiel von Musik

Der junge Kreole Idán Bravo aus dem spanischen Vizekönigreich Neugranada gerät in die Wirren der südamerikanischen Unabhängigkeitskriege. Er versucht seine Seele mit musikalischer Begabung zu retten. Bis auch die Musik ihrerseits seine Seele einfordert.

Als die Brigg in Richtung Heimat gondelte zwischen Wellen des mitternachtsblauen Atlantiks, entsann er sich verblasster Freundschaften und schmerzlich wünschte er sie sich zurück. Aber auch wenn er sich oft genug ohne Lebewohl von geliebten Menschen getrennt hatte, so war er jetzt so kraftlos, dass er sich nicht mit Reue herumschlagen wollte und für das Bisschen Selbstmittleid, das ihm vielleicht noch falschen Trost hätte spenden können, fühlte er sich ohnehin viel zu elend. In seiner Einsamkeit verblieb ihm nur das Wiegen der Brigg, das Schaukeln zwischen Erinnerung und Apathie. So kam es, dass er aus kindlicher Resignation heraus zu summen begann, und plötzlich der einlullenden Wonne gedachte, die ihm die Wiege in frühen Tagen beschert haben dürfte. Er glaubte sie zu dieser Stunde wieder zu fühlen; die Sorglosigkeit seiner ersten Kinderjahre. Ein kurzes Dankgefühl regte sich in ihm, denn was ist die Kindheit, wenn nicht eine dankbare Entschädigung für alles, was nach ihr kommt? Freilich hatte man ihm seine Kindheit allzu früh genommen. Aber auch daran gibt es nichts zu bemitleiden, denn im steten Hin- und Herwiegen von Schicksal und Willenskraft dürfen nämlich die einen immerhin die Kindheit noch erleben, wohingegen anderen das Los beschieden ist, aus keinem anderen Grund mit dem Leben zu bezahlen, als dem, ein Kind zu sein.

Silvio Dohner Avilés

Dem historischen Roman Das Widerspiel von Musik wohnt ein Musikalismus inne, der eng verflochten ist mit der Erzählung über das stete Umschlagen von Gegensätzen im Menschsein. Poetisch in der Sprache, aufregend in seiner Geschichtlichkeit, und scharfzüngig, wenn es um die Dummheit der Grossen jener Zeit geht.